Frau Gülgün, wo waren Sie so lang?
Ani Gülgün-Mayr ist das neue Gesicht des neuen Senders ORF 3. Hieße sie Anni Mayr, hätte vielleicht schon ORF 2 sie entdeckt.
Portrait: Sibylle Hamann
„Hoffentlich stirbt uns keiner mehr“, sagt Ani Gülgün-Mayr. So etwas sagt man nicht immer aus Sorge um die Gesundheit anderer Menschen, sondern manchmal aus purem Eigeninteresse. Etwa, wenn man gerade Nachrufe schneiden muss, für den Jahresrückblick. Die Redakteurin sitzt im Schneideraum, die drei Computerbildschirme vor sich aufgefaltet wie ein Altar, sie zeigen Liz Taylor in der Rolle der Kleopatra. Liz Taylor, Bernd Eichinger, Peter Falk, Loriot – die Toten sollen reichen für heuer, zumindest bis zum Tag der Sendung.
Sie arbeitet routiniert, obwohl sie diesen Job erst seit drei Wochen macht; sie ist entspannt, obwohl die Tage lang geworden sind in letzter Zeit. Recherchieren, schreiben, Bänder heraussuchen, Bänder durch die Stadt tragen zu den ausgelagerten Schneideräumen, dazwischen ein bisschen PR; jeden Donnerstag und Freitag, um 20.00 Uhr, steht sie dann, als Anchorwoman von „Kultur heute“, auch noch vor der Kamera. Und wenn man der 41jährigen so zuschaut -wie leicht ihr alles von der Hand geht, wie sehr die Kamera sie liebt, wie unangestrengt sie lächelt, – kann man einer Frage nicht recht auweichen: Warum erst jetzt?
Ani Gülgün-Mayr lacht wissend. Oja, das hat sie sich selbst auch schon gefragt. „Manchmal hab ich das Gefühl, ich bin jetzt genau dort, wo ich eigentlich vor zehn Jahren hätte sein sollen“, sagt sie. Es klingt nicht bitter, es klingt nicht vorwurfsvoll. Es klingt eher amüsiert. Aber es zielt mitten in eine Problemzone Österreichs.
Es ist nämlich nicht so, dass sich diese Frau seit 41 Jahren absichtlich vom Fernsehen im Allgemeinen und vom Küniglberg im Besonderen ferngehalten hätte. Nein, hier wollte sie immer schon hin, und als Kind war sie sogar mehrmals da. Ihre Mutter hat das ORF-Zentrum dreißig Jahre lang geputzt. Schrubbte mit einem Mop die langen Gänge, in denen man sich so leicht verirrt; wischte mit einem feuchten Lappen über die Schreibtische der leitenden Redakteure; reinigte Klos, Schminksessel und Badezimmerspiegel. Und wenn die kleine Ani nicht fit für die Schule war, aber die Mutter sich nicht traute, sich bei der Reinigungsfirma Simacek einen Tag freizunehmen, dann nahm sie die Kleine hierher mit. Manchmal ließ der Portier sie nicht rein, „Kinder verboten!“, dann musste sie vor der Tür warten, bis die Mama mit der Arbeit fertig war.
Als 25jährige stand Ani wieder an dieser Portiersloge. Wurde höflich empfangen und hinaufbegleitet ins Nachrichtenstudio, trat in der „ZiB 2“ auf, und erklärte Ingrid Turnher live, was die Staatsbürgerschaft bedeutet für junge Menschen wie sie. Cool war sie, schlagfertig. Von Nervosität keine Spur. Die Sendungsverantwortlichen und der Kamermann waren begeistert. Ani Gülgün hätte schon damals das sympathische, eloquente Gesicht der „zweiten Generation“ werden können. Aber der ORF ließ sie wieder gehen.
Zehn Jahre später, mit 35, probierte sie es noch einmal. Bewarb sich bei der Sendung „Heimat, fremde Heimat“, wurde genommen, und blieb dort bis heute.
Ani Gülgün-Mayr würde, so wie sie ausschaut und redet, auch als Anni Mayr durchgehen. Warum sie dann in der Minderheitenecke andockte, statt gleich die ZiB ins Visier zu nehmen? Das liege daran, erklärt sie nachsichtig, dass sie eben nicht Anni Mayr sei. „‚Heimat, fremde Heimat‘ hab ich geschaut, seit ich ein Kind war, mit der Mama auf dem Sofa. Jeden Sonntag, halb zwei: Das war der einzige Zeitpunkt, wo Leute wie wir im Fernsehen vorkamen. Wo sie mit Akzent sprechen durften. Der einzige Ort, wo ich gedacht habe – dort können sie mich brauchen. Bei allem anderen war ich sicher: Dort hab ich keine Chance.“
In diesen Momenten ist sie da, die Herkunftsfrage. Die Menschen wie ihr viel zu oft gestellt wird, im Sinn von: Wo kommst du eigentlich „wirklich“ her? Warum kannst du so gut deutsch? Musst du tatsächlich Jungfrau bleiben, bis du verheiratet bist? Und warum trägst du kein Kopftuch?
Ani ist ein armenischer Name, Gülgün ein türkischer. Sie ist in Istanbul geboren, in eine armenische Familie. Die schwierige armenische Schrift hat sie sich später selbst beigebracht. Doch wer hier einen bildungsbürgerlichen Hintergrund vermutet, liegt falsch. Der Vater wurde 1971 als klassischer Gastarbeiter angeworben. Dazu gehörte die eingehende körperliche Untersuchung vor der Abreise, und der Empfang durch eine Blasmusikkapelle bei der Ankunft am Wiener Südbahnhof. Er arbeitete in als Dreher in der Fabrik. Die Ehefrau und Ani, das einzige Kind, kamen nach, als Ani zwei war.
Die Brigittenau ihrer Kindheit hat Ani als finsteren, grauen Ort in Erinnerung. Mit Schule, Gymnasium und Matura ging alles glatt. Sie zog sich einen Krimi nach dem anderen rein, kannte alle Colombo-Folgen, und wusste nach zehn Minuten stets, wer der Mörder war. Polizistin wäre für so ein Mädchen der logische Berufswunsch gewesen. Aber da war es wieder: Dieses Gefühl, dort nicht hinzugehören. Die Polizei – das war für sie jene Amtsstube, zu der sie ihre Eltern immer zum Dolmetschen begeiten musste, seit sie sechs Jahre alt war. Wo man um Aufenthaltsgenehmigungen und Befreiungsscheine vorsprechen musste. „Du spürst, wie sie deine Eltern von oben herab behandeln, du merkst es am Tonfall, an der Körperhaltung. Und das hältst du als stolzes Mädchen sehr schwer aus.“
Statt der Kriminalistinnenlaufbahn kam das Psychologiestudium. Die Studentenzeitung. Die Ehe mit einem Oberösterreicher, zwei Kinder. Ein Job im eben gegründeten Standard – nein, auch dort nicht in der Redaktion, sondern im Archiv der Anzeigenabteilung. Der kurdische Hausbote dort (ebenfalls mit unausgelebten journalistischen Ambitionen) machte sie auf ein unscheinbares Gassenlokal in der Siebensterngasse aufmerksam. Es war das Vereinslokal von „Echo“, wo aufregende Dinge passierten.
„Echo“ war eine Gruppe junger Menschen rund um den Sozialarbeiter Bülent Öztoplu. Der erste Ort in Wien, an dem unter Jugendlichen aus Einwandererfamilien Selbstbewusstsein gedieh. Sie waren anmaßend, sie waren wild. Sie wurden von der Gemeinde subventioniert, aber ließen sich nicht domestizieren, was häufig zu Konflikten führte. „Man hat uns damals vorgeworfen, wir seien abgehoben und arrogant, statt auf der Straße brave Sozialarbeit zu machen“, erzählt Gülgün heute. „Das stimmt. Aber es war genau richtig so.“
Sie produzierten eine Zeitung, die sich als Sprachrohr ihrer Generation verstand, und die Ani Gülgün verantwortete. Mehmet Sel machte das Layout – heute arbeitet er als freiberuflicher Grafiker für die Stadtzeitung „biber“. Asli Kislal baute eine Theatergruppe auf – heute ist sie Regisseurin und Leiterin von „das kunst“, war mit der Performance „Wiener Blut“ erfolgreich, einige der Jugendlichen aus Echo-Zeiten sind in ihrer Truppe heute noch dabei. Bülent Öztoplu führt heute das Szenelokal „Blue Box“.
Die ehemaligen „Echoten“ haben allesamt ihren Weg gemacht. Sie sind durchwegs begabte, ehrgeizige Menschen. Theoretisch hätten Schulen, Behörden, Medien ihre Talente ebenfalls nützen können. Aber sie wollten nicht.
Ein bisschen Genugtuung ist daher dabei, wenn Ani Gülgün-Mayr jetzt vor der Kamera steht. Nicht in der Minderheitenecke, sondern im Mainstream. Wenn ihr Doppelname im Insert eingeblendet ist. Wenn sie weiß, dass sie damit Verwirrung stiftet; und dass sie jederzeit einen der beiden Teile weglassen kann, um die Verwirrung noch zu verstärken.
Ani Gülgün-Mayr hat in Niederösterreich einmal einen Beitrag gedreht, über Schüler, die je nach Herkunft in zwei Klassen separiert wurden. Sie hatte sich mit „Mayr“ vorgestellt. Die Direktorin meinte, bei ihr Verständnis zu finden mit ihren Klagen über „die Türkenkinder“. Es wurde ein kritischer Beitrag. Die Schuldirektorin war irritiert, als sie im Fernsehen den Namen der Gestalterin sah. Und meinte, sie hätte selbstverständlich anders geredet, wenn sie gewusst hätte, dass die Redakteurin mit einem Türken verheiratet sei.
Auf die Idee, einem leibhaftigen Türkenkind gegenüberzustehen – auf die Idee war sie nicht einmal gekommen.
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Wie immer auch, ob selbst Türkin mit armenischen Wurzeln oder Armenierin in der Türkei gebohren, warum fokusierte die so sympatische Moderatorin in ihren Sendungen wie „Almac“ offenbar nur die türkische Population ohne auf Armenier in Österreich oder gar in der Türkei einzugehen?
„einem leibhaftigen Türkenkind gegenüberzustehen – auf die Idee war sie nicht einmal gekommen.“
für Armenier ist es eigentlich eine Schande als Türken zu gelten
Ihr Österreicher habt den Rassismus nicht erfunden-gebt nicht so an! er ist ubiquitär. meine Erfahrung: Migranten aus rassistischen Familien erleben Rassismus auch öfter 😉
s.oben