Die Yogis wollen keine Angestellten sein, die Yogis müssen gehen
Gewerkschaft und Gebietskrankenkassen machen Jagd auf freie Dienstverträge. Aber eine Fixanstellung ist nicht die einzig mögliche Lebensform.
Presse-Kolumne
In dem Yoga-Studio, das ich ab und zu besuche, ist neuerdings schlechtes Karma. Einer nach dem anderen verabschieden sich Lehrer und Lehrerinnen. Es sind wehmütige Momente, denn eigentlich unterrichteten sie alle recht gern dort. Dass sie gehen, liegt weder an den Chefs noch an den patscherten Schülern mit ihren verhatschten Sonnengrüßen. Nein, die Wiener Gebietskrankenkasse ist schuld. Die durchforstet derzeit nämlich alle Branchen auf der Suche nach freien Dienstnehmern. Nach Callcentern, Marketingbüros und Medien sind nun offenbar die Fitnessstudios an der Reihe (unter die, in der Kassenlogik zumindest, auch Yoga fällt). Die Kasse sagt: Bei Fitnesstrainern handle es sich nie und nimmer um Freiberufler, sondern stets um weisungsgebundenes Personal. Deswegen gehören sie allesamt angestellt.
Hurra! Wieder ein paar arme, ausgebeutete Freiberufler gerettet und in den sicheren Hafen des Angestelltenverhältnisses gezerrt! jubelt da das Gewerkschafterherz. Das Problem mit den geretteten Yogis ist bloß: Sie freuen sich über ihre Rettung nicht. Sie wollen gar keine weisungsgebundenen, mit 13. und 14. Monatsgehältern versorgten Yoga-Studio-Angestellten sein. Sie sind sehr verschiedene Menschen, die die unterschiedlichsten Dinge tun: Kunst, Handwerk, Familie, Wissenschaft, Musik, andere Jobs. Wenn sie einmal die Woche ins Studio kommen, tun sie das als freie Menschen. Das wollen sie auch bleiben. Doch weil das in der Logik von Krankenkassen, Gewerkschaft und Arbeiterkammer nicht vorgesehen ist, müssen die Yogis jetzt gehen.
Ich müsste Sie nicht meinen Alltagsgeschichten belästigen – spielte sich hier im Kleinen nicht ein Konflikt ab, der gesamtgesellschaftlich relevant ist. Es ist nicht zu leugnen, dass Ausbeutung freier Dienstnehmer tatsächlich stattfindet, in großem Stil. Ganze Branchen, von der Zeitungskolportage über die Altenpflege bis hin zur Architektur nützen Heerscharen von „Freien“, um Risiken auszulagern und Fixkosten zu minimieren. „Frei“ sind diese Menschen nicht, sondern in erster Linie billig, abhängig und ausbeutbar. Anweisungen befolgen und anwesend sein müssen sie wie alle Angestellten; bloß ohne Krankengeld, Urlaubsanspruch und Kündigungsfristen. Es ist gut und richtig, dass Gewerkschaft und Krankenkassen diese Praktiken eindämmen.
Aber muss man deswegen das Kind mit dem Bad ausschütten? Muss das Ziel sein, „alle freien Dienstverträge komplett abzuschaffen“, wie die GPA fordert? Wer als Freiberuflerin je mit Gewerkschaftern zu tun hatte, erlebt ausschließlich eines: Grenzenloses Mitleid, gepaart vom gutgemeinten Rat, bei nächstbester Gelegenheit doch bitte schleunigst unter den wärmenden Mantel einer Anstellung zu schlüpfen. Selbstständig zu arbeiten – das erscheint ihnen grundsätzlich suspekt. Seltsam. Irgendwie extrem.
Es gibt jedoch Menschen, die das Leben als „Freie“ nicht als Extrem-, sondern als Normalzustand begreifen. Menschen wie meine Yoga-Lehrer. Menschen wie mich. Man könnte ihnen, wenn man will, auf vielerlei Arten helfen: Mit weniger Bürokratie, einer Grundpension, besserem Mutterschutz, Unterstützung bei längerer Arbeitsunfähigkeit oder Fortbildungen.
Am besten jedoch wirkt: Freien höhere Stundenlöhne, bessere Honorare zu zahlen. Dann kriegen sie das mit der Freiheit und der Eigenverantwortung meist ganz alleine hin. Mal schauen, ob uns irgendeine Gewerkschaft dabei unterstützt.
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