Die Schwanzkeule und wir
Warum Kinder Dinos mögen. Und warum Dinosaurier beinahe Menschen sind.
ein paar gedanken für den „falter“
Die Faszination, die Dinosaurier ausüben, ist nicht totzukriegen. Kinder, die gerade mal gelernt haben, mit dem Löffel zu essen, können mitunter schon einen Tyrannosaurus Rex identifizieren und von einem Archäopterix unterscheiden. Siebenjährigen kommen lateinische Namen mit 17 Buchstaben fließend über die Lippen. Häufig wirkt der Zauber gar generationenübergreifend: Das riesige Skelett im Dinosauriersaal des Naturhistorischen Museums (ein Allosaurus fragilis aus Utah) haben bereits die Großeltern der heutigen Kinder ebenhier bestaunt; es taugt heute wie vor 40 Jahren als wochenendliches Konsens-Programm, wenn man sich über nichts anderes einig wird.
Seit „Jurassic Park“ kommt jedes Jahr verlässlich ein neuer Dino-Film heraus – die ambitionierteren Projekte orientieren sich am neuesten Stand der Forschung (heuer heißt der Film „Im Reich der Giganten“, Hauptfigur ist ein Brontosaurus namens Patchi). Schon seit hundert Jahren touren Wanderausstellungen von detailgetreuen Dino-Nachbildungen durch die Metropolen. Die erste gab es 1853 in der Crystal Palace Park in London, derzeit gastiert wieder eine in der Rindermarkthalle in St. Marx. Zwischen Mensch und Saurier scheint sich um ein inniges Naheverhältnis zu handeln. Wie ist das zu erklären?
1. Es gibt Dinosaurierfunde auf der ganzen Welt, auf jedem Kontinent, die Antarktis inklusive. Weil damals, als die Dinosaurier lebten, alle Kontinente noch in einer einzigen Landmasse verbinden waren. So gesehen, sind sie ein kulturübergreifende Story, zu der jedes Land etwas beitragen kann.
2 Sie bilden, in all ihrer Vielfalt, einen in sich geschlossener Kosmos. Wie viele Arten sie genau waren, weiß man zwar nicht (auf 3400 wird die Zahl geschätzt, jedes Jahr entdeckt man neue). Aber sie gehören zu einem klar abgrenzbaren Zeitalter, ihre Geschichte hat einen Anfang und ein Ende. Das kommt Kindern ebenso entgegen wie Menschen mit Sammelleidenschaft. Beide mögen keine Geschichten mit Open End.
3. Der Dinosaurier ist ein Drache, und der Drache ist eine wichtige Konstante in der menschlichen Mythengeschichte – sowohl in der westlichen, als auch in der islamischen, als auch in der fernöstlichen Tradition. Ob Kelten oder Apachen, ob australische Aboriginees oder die alten Perser: In beinahe allen Kulturen dachte man sich ähnliche Gestalten aus, um einander Schrecken einzujagen. Meist waren sie Mischwesen aus Vogel, Reptil und Raubtier, mit mehreren Köpfen, Flügeln, Krallen oder Schuppen, sie spien Feuer oder konnten mit Blicken töten. Doch dann findet man, Mitte des 19. Jahrhunderts, Fossilien, die genauso aussehen, wie man sie die Drachen stets ausgedacht hat: Mischwesen aus Vogel, Reptil und Raubtier. Es muss ein ziemlicher Schock gewesen sein: Zu erfahren, dass ein Hirngespinst kein Hirngespinst war, sondern tatsächlich existierte. Wenn das mit den Drachen funktioniert – finden wir als nächstens versteinerte Skelette der Zahnfee? Der Muppets? Oder der Star-Trek-Besatzung?
4. Dinosaurier waren nicht einfach eine Tierart unter vielen. Gruppendynamisch betrachtet, spielten sie zu ihrer Zeit dieselbe Rolle wie die Menschen heute. Weithin sichtbar dominierten sie den Planeten, standen unangefochten an der Spitze der Nachrungskette.
5. Sie sind den Menschen ähnlich, sogar in einigen anamtomischen Details. Zum Beispiel: Anders als den heutigen Reptilien, bei denen die Füße seitlich von Körper wegstehen (und ihnen einen watschelnden Gang verleihen), wuchsen den Dinosauriern die Beine senkrecht aus dem Körper. Das ermöglichte ihnen einen aufrechten Gang, manchmal sogar auf zwei Beinen; weiters Ausdauer, Aktivität und Größenwachstum. Die Größe und Körpermasse wiederum erwärmte ihr Blut – große Dinos dürften, wie wir, eine Temperatur von 36-38 Grad gehabt haben.
6. Süß waren sie ebenfalls. Der Maiasaurus baute Nester aus Schlamm, polsterte sie mit Blättern und Farnen aus. Nachdem sie geschlüpft waren, ließen sich die Dinobabies als Nesthocker von Mama und Papa umsorgen und füttern. Bevorzugt mit liebevoll vorgekautem, vorverdautem und wieder hochgewürgtem Nahrungsbrei, direkt aus deren Maul („Mamas Kotze ist die beste“ schwärmt Patchi im Film). So ähnlich machen das auch heute noch Vögel, Primaten und Menschen. Letztere zumindest dort, wo es keine Babynahrung im Glas gibt.
7. Wo sie nicht süß waren, waren sie hässlich. So hässlich, dass man sie mit lustvollem Angst-Lust-Ekel bestaunen kann. Der Pachycephalosaurus zum Beispiel trägt einen Strahlenkranz aus Hornwimmerln am Kopf, abszessartge Ausstülpungen rund um seine hohe, fliehende Stirn. Da kann man, wie einst beim Großen Lexikon der Krankheiten, den Blick kaum abwenden. Heute halten da allenfalls noch Abbildungen von Hautausschlägen oder Missbildungen mit, die man online findet.
8. Dinosaurier sind der Inbegriff der Dummheit – riesiger Körper, winziges Hirn (bei jenen Arten, die große Köpfe hatten, kam das Volumen bloß durch luftgefüllte Hohlräume zustande). Ebenso dienen sie als Illustration für verquere Fehlentwickungen: Der Elasmosaurus etwa, ein Schwimmtier, hatte nicht nur Flossen, sondern auch einen mehrere Meter langen Hals. Zu lang, um ihn gerade halten zu können, zu lang auch, um damit richtig zu tauchen. Merke: Nicht alles, was die Natur sich ausdenkt, ist genial.
9. Kein Wunder, könnte man also sagen, dass die Dinosaurier trotz ihrer geballten Macht und Herrlichkeit ausgestorben sind. Womit sie wiederum trefflich als mataphorische Warnung für den Menschen dienen. Schaut her, liebe Kinder, so schnell kanns gehen: Grade noch Masters of the Universe, und schon ist man von der Erdoberfläche weggewischt! Die Gründe für das Aussterben der Dinosaurier können die meisten Kinder bereits im Erstklässleralter aufzählen: Vulkanausbruch, Ascheregen. Mit den verheerenden ökologischen Folgen: Treibhauseffekt, Tsunamis, saurer Regen, starke Temperaturschwankungen, Absinken des Meeresspiegels.
Geht uns heute eigentlich genauso, außer was den Meerespiegel betrifft. Der steigt.
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