Am sicheren Ufer
Wann ist eine Flucht zu Ende? Wo ist es sicher? Für Schwule, Transpersonen und Lesben ist das meist anders als für heterosexuelle Flüchtlinge. Die Geschichte von Yara D.
Portrait für den Falter
Das ist eine Geschichte über eine geflüchtete Syrerin, in der kein Kopftuch vorkommt. Yara ist 28 Jahre alt, sie trägt Jeans und ein Baumwollhemd mit Holzfällerkaros. Die Locken trägt sie kurz. Yara hat Architektur studiert. Sie liebt Frauen. Sie wohnt in einer Wohngemeinschaft, mit vier Afrikanerinnen. Wie sie so dasitzt, ungekämmt, ungeschminkt, und routiniert eine Zigarette wuzelt, schaut sie aus, als hätte sie schon viele Jahre in Wiener Studentencafes verbracht.
Aber Yaras Weg ins Studentencafe war weit. Sie kommt aus der kaputtgebombten syrischen Stadt Homs. Und kaum beginnt sie sich an dieses neue, freie Leben zu gewöhnen, kann es morgen schon wieder vorbei sein, denn Yara hat einen ablehnenden Bescheid in der Tasche. Österreich fühlt sich für ihr Verfahren nicht zuständig, sie ist ein Dublin-Fall. Sie soll nach Kroatien ausreisen, über das sie im Februar eingereist ist. Andernfalls droht die Abschiebung.
Yara ist kein Einzelfall. Hunderte Dublin-Bescheide werden in diesen Wochen ausgestellt. Das ist rechtlich in Ordnung – denn Kroatien und Italien sind, anders als Ungarn, grundsätzlich sichere Länder. Aber ist Yara, wegen ihrer Homosexualität, nicht ein besonderer Fall? Verdient sie mehr Schutz als andere syrische Kriegsflüchtlinge, oder eine andere Art davon? Ja, meint ihre Anwältin Nadja Lorenz. Und wer Yaras Geschichte hört, kann das nachvollziehen.
Es dauert eine Weile, bis Yara beginnt, sie zu erzählen. Sie lebte in Homs, einer konservativen kleinen Stadt, wo jeder jeden kennt, mit ihrer Tante und ihrer Großmutter, zwei stolzen, starken Frauen. Yara wusste immer schon, dass sie anders war, aber hatte außer einer Freundin niemanden, dem sie sich hätte offenbaren können. „Ich sah damals sehr anders aus“, sagt sie. Jahrelang versteckte sie ihren Zwiespalt unter vielen Schichten Kleidung, so fiel sie nicht auf, man hielt sie für eine ganz Fromme. Bis sie, im Mai vor einenhalb Jahren, beschloss, sich nicht mehr zu verstecken. Erst schnitt sie sich mit der Küchenschere die Haare ab. Dann legte sie, Schicht für Schicht, das Frauengewand ab, bis sie, mit unbedecktem Kopf und Hosen, auf die Straße ging. Sie hörte die Leute zischen, auf dem Markt, im Autobus. „Ist das ein Bursch oder ein Mädchen“, tuschelten die Frauen.
Draußen erkannte sie niemand. Ihre Familie ahnte nichts. Frei kommunizieren konnte sie nur online, an Beziehungen im richtigen Leben war nicht zu denken. Homosexualität gilt im syrischen Strafrecht als „widernatürlich“ und ist mit drei Jahren Haft bedroht. Schwule demonstrierten dagegen, Yara ging mit. „Aber ob diese Männer auch für mich kämpfen würden? Nein. Deswegen bin ich gegangen.“
Yara war spät dran. Erst im Februar, mit der Nachhut des Massenexodus aus Syrien, kam sie über die österreichische Grenze. Beim Erstinterview bei der Polizei ging alles ein bisschen zu schnell. Sie schaute die Beamten an, die Dolmetscherin, versuchte abzuchecken, wie offen sie reden könne. Ob dies der richtige Moment sei, zum ersten Mal in ihrem Leben auszusprechen, dass sie lesbisch sei. Sie traute sich nicht. Erst nachher las sie auf den Papieren, die man ihr in die Hand drückte, dass Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung ein Asylgrund ist.
„Die Hälfte der Leute, die wir betreuen, hat ihre Homosexualität beim Erstgespräch erwähnt, die andere Hälfte nicht“ sagt Marty Huber von QueerBase, einer NGO, die derzeit insgesamt 95 homosexuellen Flüchtlingen hilft. Häufig sind bei den Polizeiinterviews die arabischen Übersetzer eine Hürde, falsche Signale, falsche Auskünfte, die Angst vor danebensitzenden Verwandten, oder einfach Scham. „Wir versuchen manchmal, es nachträglich noch ins Verfahren einzubringen, aber das klappt nicht immer.“
Yara jedenfalls landete in Österreich wieder „in Syrien, nur noch schlimmer“: in einer Flüchtlingsunterkunft an der slowakischen Grenze, zwei Reihen Container, rundherum nichts, drinnen ein Haufen gelangweilte Männer auf engstem Raum, die sich die Zeit damit vertrieben, die Außenseiterin zu quälen. „Shaz“ heißt das arabische Schimpfwort, das sie benützten. „Ich werd dir schon beibringen, wie sich eine Frau benimmt“, drohten sie. Anfangs stritt Yara noch zurück. Dann bekam sie immer aggressivere, immer zudringlichere SMS, sperrte sich tagelang ein, hörte Betrunkene nachts an ihre Tür hämmern, und wurde immer panischer.
Yara weiß, was diese Männer über sie denken, immerhin ist sie unter ihnen aufgewachsen. „Dass es österreichische Lesben gibt, ist für sie okay. Aber syrische Lesben? Das halten sie nicht aus.“ Die wenigen Frauen waren ihr keine Hilfe, „die hielten mich für einen Burschen.“ „Lass es nicht eskalieren, provozier sie nicht“, riet ihr eine ab und zu anwesende Sozialarbeiterin. Erst von einer freiwilligen Helferin auf der Durchreise erfuhr sie, dass es draußen für Menschen wie sie Unterstützung gibt.
QueerBase versucht, über hunderte Kilometer den Kontakt zu den Leuten in den Quartieren zu halten. „Alle sind isoliert und haben niemanden zum Reden, viele erleben tätliche Angriffe“, erzählt Huber. Selten bekommen sie 48 Stunden Ausgang, um zur Beratung nach Wien zu kommen. Die Stadt Wien stimmte grundsätzlich zu, diese Menschen nach Wien zu übersiedeln, hier kommen sie in Wohngemeinschaften unter. Doch manche Bundesländer, insbesondere Niederösterreich, legen sich gegen Transfers quer.
Yara hatte Glück. Sie ist in Wien halbwegs zur Ruhe gekommen, sie hat ihre WG, sie hat Marty, sie hat hier sogar zwei schwule Männer aus Homs kennengelernt, denen sie daheim niemals begegnet wäre. Zum ersten mal in ihrem Leben erfährt sie, wie sich das anfühlt: Holzfällerhemden anziehen. Allein auf einer Bank sitzen und rauchen. Nicht angestarrt, nicht verachtungsvoll angezischt werden. An Architektur denken. Normal sein.
Wie es in Kroatien sein wird? Keine Ahnung. Der Bescheid in Yaras Tasche sagt: Kroatien erlaubt die eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle, also gibt es keine Diskriminierung. QueerBase sagt: Es ist in Kroatien nicht so schlimm wie in Serbien, aber schlimm genug. Ihre Anwältin argumentiert: Es gibt in Kroatien keine speziellen Unterkünfte, keinen wirksamen Schutz; Menschen wie Yara drohe dort „Ungemach“, deswegen hätte sich Österreich für ihr Verfahren zuständig erklären müssen.
Yara sagt nur: Ich hoffe, dass ich bleiben kann. Der Ausgang ihrer Geschichte ist ungewiss.
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